Der November ist nicht die typische Zeit für einen Städtetrip nach Prag. Vor allem im Frühling und Herbst zieht die Stadt viele Besucher an, die sich von den satten Farben der Bäume in den Gassen und Straßen verzaubern lassen wollen. Doch unser sonnenklar.TV Urlauber hat die dicke Winterjacke eingepackt und dabei Prag nicht nur zu einer ganz anderen Jahreszeit, sondern vor allem auch von einer neuen Seite kennengelernt. Was er dort erlebt hat, erzählt er euch in seinem Reisebericht über Prag!
„Prag lässt nicht los“ – das wusste schon Franz Kafka, dessen Heimatstadt einst die tschechische Metropole gewesen ist. Wie recht er hatte, wurde mir auf meiner Reise in die tschechische Hauptstadt schnell klar. Prag fasziniert und fesselt.

Ankunft im geschichtsträchtigen Prag
Es ist bereits dunkel und der Zug fährt durch eine ländliche Gegend. Keine Straßenlaternen, keine beleuchteten Fenster erhellen die Gegend. Knapp vier Stunden später stolpere ich am Prager Hauptbahnhof aus dem Zug. Die Fahrt steckt mir noch in den Knochen, die fremde Sprache und eine unübersichtliche Schilderflut im grellen Licht überfordern mich. Ich suche den Weg zur Straßenbahn, laufe vorbei an unzähligen Geschäften, das Duftgemisch einer Parfümerie verbindet sich mit dem Geruch gebrannter Mandeln.
Orientierungslos wie ich bin, zeigt man mir den Weg zu einem Ticketschalter. Die Dame dort spricht trotz Durchsagen und dem Stimmengewirr aus aller Welt so leise, dass ich kaum ein Wort verstehe. Immerhin schaffe ich es, ein Ticket zu kaufen. Die Straßenbahn gibt es in Prag schon seit 1875. Damals wurde sie noch von Pferden gezogen. Der Wagen, in den ich einsteige, scheint aus der Zeit der ersten elektrischen Bahn um 1900 zu sein. Es ist ein bisschen zugig in dem alten Gefährt und ich fühle mich gleich wie in eine vergangene Zeit versetzt.
Alteuropäischer Glanz abseits der Touristenströme
Ich bin mitten in in einer Novemberwoche nach Prag gereist, wohlwissend, dass an den Wochenenden oder in den Sommermonaten sicherlich mehr Besucher in der Stadt sein werden. Welch ein hohes Touristenaufkommen die Stadt hat, habe ich bereits gelesen. Aber es zu sehen, ist noch viel beeindruckender.
Die berühmte Karlsbrücke besuche ich noch am Abend meiner Ankunft. Es ist knackig kalt und die Brücke relativ leer. Ich kann ganz in Ruhe spazieren, herrlich romantisch ist es hier. Am nächsten Tag sieht es dort schon ganz anders aus.

Ich will Prag zwar abseits der Massen erkunden, möchte natürlich aber dennoch die ein oder andere Sehenswürdigkeit besuchen. Mein Tag startet sehr früh und es sind nur wenige Menschen unterwegs. Ein paar Einheimische hetzen zur Arbeit, eine Handvoll Besucher hier und da.
Der Altstädter Ring ist der zentrale Platz Prags. Umsäumt von wunderschönen Renaissance- und Barockhäusern, unzähligen Bars und Restaurants steht hier die Teynkirche, die bei Nacht fast vampiresk anmutet. Ihr gegenüber liegt das Altstädter Rathaus mit dem weltbekannten Orloj, einer astronomischen Uhr von 1400. Sie ist ein Kunstwerk für sich. In der Altstadt duftet es nach Weihnachtsmarkt, denn alle paar Meter wird das traditionelle Gebäck Trdelník verkauft. Bei uns kennt man die an Stöcken gebackene Rolle als „Baumstriezel“.

Jüdische Kultur und Jugendstil-Architektur
Ein paar Gassen weiter ist plötzlich alles anders: Ich befinde mich nun in Josefov, dem Jüdischen Viertel. Nachdem die Juden im Jahr 1848 die Bürgerrechte erhalten hatten, zogen viele aus dem einstigen Getto weg und die Häuser verfielen. Um 1893 wurde das Viertel komplett neu aufgebaut und ist heute geprägt durch luxuriöse Jugendstil-Architektur. Die exklusivsten Modehäuser sind hier ansässig.
Ich möchte mich jedoch lieber in die Geschichte vertiefen. Als Nächstes besichtige ich den Jüdischen Friedhof. Auf einem knappen Hektar stehen gut 12.000 Grabsteine dicht an dicht. Ein Besuch kostet 12 Euro. Kleiner Tipp: Wenn ihr ein wenig danach sucht, findet ihr ein Guckloch im Zaun und bekommt einen guten Blick über den Friedhof geboten.

Einen Steinwurf entfernt liegt die gotische Altneu-Synagoge, eine der ältesten aktiven Synagogen Europas. Einer Sage nach befinden sich die Überreste des Golems von Rabbi Löw noch auf dem Dachboden der Gottesstätte – und während ich so andächtig durch die heiligen, alten Gemäuer schreite, glaube ich fast daran.
Dass die Straßenbahnlinie 22 die Prager Sehenswürdigkeiten abfährt, ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Die Wagen sind oft entsprechend voll. Ich empfehle, stattdessen einfach drauflos zu laufen. Hinter jeder Ecke verbirgt sich eine neue bezaubernde Ansicht der Stadt und vielleicht entdeckt ihr auch das ein oder andere Werk des Künstlers David Černý. In einer Gasse lässt er Sigmund Freud von der Dachrinne hängen, an einer anderen Stelle formen 42 bewegliche Scheiben einen riesigen Franz-Kafka-Kopf.
Prags schmale Gassen und traditionelle Handwerkskunst
Ich fahre mit der Bahn auf die andere Seite der Moldau, die sogenannte „Kleinseite“. Wären die Autos nicht, würde es sich wegen der malerischen Gassen, der kopfsteingepflasterten Straßen und unzähligen Barockpaläste anfühlen, als sei man im Jahre 1800 gelandet. Quirlig wuseln die Menschen durch die schmalen Straßen. Ein, zwei geführte Touristengruppen sind auch schon unterwegs.
In verwunschenen Lädchen folgen Künstler einer langen Prager Tradition und bieten ihre handgeschnitzten Marionetten feil. Nebenan befindet sich ein Geschäft mit böhmischer Kristallglaskunst, etwas weiter die Gasse runter gibt es einen kleinen Laden, der den kleinen Maulwurf aus der tschechischen Zeichentrickserie in allen Größen und Ausführungen verkauft – Kindheitserinnerungen werden wach.
Schlendernd erkunde ich Gasse für Gasse und stehe plötzlich an einem kleinen Platz vor einem Lebkuchenhaus – in den Auslagen liegt feinster Lebkuchen in allen erdenklichen Formen und es duftet weihnachtlich. Wie soll man da widerstehen? Ich kaufe mir ein kleines Lebkuchenmännchen mit einem frischen Ingwertee und setze mich vor das Lebkuchenhaus auf eine Bank. Wie köstlich.
Nicht weit von mir steht eine kichernde Gruppe Jugendlicher um einen Brunnen. Was dort wohl so amüsant ist? Ich schaue mir das Ganze aus der Nähe an. Auch hier hat Černý seine Spuren hinterlassen. Zwei nackte Statuen stehen dort und pinkeln in ein Becken mit dem Umriss der Tschechischen Republik.
Plötzlich dringt Musik aus einer unscheinbaren Seitenstraße an mein Ohr und ich folge den bekannten Klängen von John Lennons „Imagine“. Eine kleine Menschentraube hat sich um einen jungen Kerl mit Gitarre versammelt, er lehnt mit dem Rücken an einer bunt bemalten und beschriebenen Mauer namens John Lennon Wall. 1988 fingen Jugendliche an, die Wand zu beschreiben und so ihrem Unmut über die Regierung Luft zu machen. Heute wird die Mauer mit von Lennon inspirierten Sprüchen und Bildern verziert und ist zu einem Symbol für Liebe und Frieden geworden.

Ein traumhaftes Panorama über Prag – ganz für mich allein
Es ist Freitag und die Menschen quellen förmlich aus den Gassen der Altstadt. Ich schaue mir kurz die tanzenden Häuser des Architekten Frank Gehry an. Von den Pragern werden sie liebevoll „Ginger und Fred“ genannt, nach der Filmsatire von Fellini.
Anschließend folge ich einem Tipp der Einheimischen: Mit einer Standseilbahn geht es zum Aussichtsturm Petřín, hoch auf den gleichnamigen Hügel. Am Fuße des Turmes hat man eine spektakuläre Aussicht und dennoch bin ich hier unglaublicherweise fast alleine. Die meisten Menschen scheinen sich lieber durch das Gedränge im Burgenviertel zu schieben.
299 Stufen später bietet sich mir ein sagenhafter Rundumblick über die Stadt. Ich bekomme eine Idee, wieso Prag Beinamen wie „Goldene Stadt“ oder „Stadt der hundert Türme“ trägt. Unzählige Sandsteintürme ragen in den Himmel und schimmern goldig in der Sonne. Diese Aussicht war jede Stufe wert.

Am Abend entdecke ich eine kubanische Bar. Die dunkelbraune Einrichtung und die vornehm gekleideten Barkeeper erinnern an die 1950er. Es gibt Rum in allen Variationen und natürlich Absinth. Der Wermutschnaps war vor allem im 19. und 20. Jahrhundert sehr beliebt und in Europa wegen des enthaltenen Nervengifts Thujon lange Zeit verboten. In Prag erfreut sich das Getränk wieder starker Beliebtheit. In dieser Bar wird es mit der entsprechenden Apparatur stilvoll serviert. Der Absinth tropft aus einem bauchigen Gefäß auf ein Stück Zucker, das auf einem Löffel über ein Glas gelegt und entzündet wird.
Neue Viertel entstehen in Prag
Es ist Wochenende und ich fahre raus, in das „andere“ Prag, weg von der zentralen Altstadtmeile. Holešovice ist ein ehemaliges Arbeiterviertel mit vielen alten Fabriken, die neue Nutzer gefunden haben. Die Gegend erinnert mich ein bisschen an Kreuzberg. Umgebaute Fabriken beherbergen nun Cafés, Kunstausstellungen oder verschiedene Kultureinrichtungen, wie etwa das Jatka, ein modernes Zirkus- und Theaterprojekt. Ein neues Szeneviertel entsteht.

Im Letná-Park, der auf einem gleichnamigen Hügel liegt, suche ich Entspannung und stoße bei meinem Spaziergang auf einen riesigen Skatepark. Dort erfahre ich von ein paar jungen Skatern, dass hier bis Anfang der 1960er ein Stalin-Denkmal stand und noch bis 1989 Paraden und Massenversammlungen stattfanden. An der Denkmalstelle steht heute ein riesiges Metronom. Die Aussicht ist fantastisch.
Die Außenbezirke zeigen die bodenständige Seite der Stadt, wo die Prager zuhause sind. Touristen verirren sich eher selten hierher, das Essen ist lecker und günstig. Auch Karlín hat sich nach der verheerenden Überschwemmung von 2002 zu einem neuen Trendviertel gemausert.
Die günstige Wohnlage in Zentrumsnähe ist besonders für junge Menschen und Familien attraktiv, aber auch kulturell tut sich in Karlín einiges. „Das Stadtzentrum ist total überlaufen und entwickelt sich nicht weiter. Alles dort ist für die Besucher. Hier hingegen eröffnen ständig neue Läden, es entstehen Freiräume für uns Bürger“, erzählt mir ein Mittdreißiger, mit dem ich in einem Café ins Gespräch komme. Yoga am Vormittag, anschließend eine Latte Macchiato in einem der angesagten Cafés und abends eine Kunstausstellung oder ein Konzert – so sieht ein gelungener Tag in Karlín aus.
Viertel wie Karlín oder Holešovice lassen mich in das wahre Prag eintauchen. Ich bewege mich dort, wo die Einheimischen sind, ich kann mich austauschen und darf für einen Moment eine andere Stadt, eine andere Kultur, ein anderes Land kennenlernen. Das ist es, was Reisen für mich bedeutet.